Der Dom kommt ins Seniorenheim

Im Rahmen seiner Jahreskampagne „Sozial braucht digital“ testete der Diözesan-Caritasverband 2019 den Einsatz von Virtual-Reality-Brillen in der Altenhilfe.

Mit 100 Jahren noch einmal durch die Dresdner Frauenkirche schlendern. Innehalten, wo besonders Beeindruckendes zu betrachten ist. Für Amanda Pasternak ist dieser Wunsch Wirklichkeit geworden. Und das, obwohl die alte Dame, die inzwischen im Rollstuhl sitzt und in ihrer Mobilität stark eingeschränkt ist, viele Hundert Kilometer von Dresden entfernt lebt, im Luisenheim, einer Alten- und Pflegeeinrichtung in Trägerschaft von IN VIA Düsseldorf.

Noch im Alter von 90 Jahren war sie den Turm der Frauenkirche ganz real emporgestiegen. Dass sie nun, zehn Jahre später, noch einmal dorthin zurückkehren kann, macht eine sogenannte Virtual Reality- oder kurz VR-Brille möglich. Der Kölner Diözesan-Caritasverband testete deren Einsatz 2019 in der Arbeit mit älteren Menschen. Das Projekt ist eines von vielen im Rahmen der Jahreskampagne 2019 „Sozial braucht digital“.

Wie eine verdunkelte Taucherbrille sitzt das Gestell der VR-Brille auf der Nase von Amanda Pasternak. Ein wenig erinnert sie damit an eine Figur aus einem Science-Fiction-Film und bildet einen interessanten Kontrast zur gediegenen Umgebung des Luisenheims, das in einer klassischen Villa aus dem 19. Jahrhundert beheimatet ist. Interessiert neigt die alte Dame, die in Ostpreußen geboren wurde, den Kopf, bewegt ihn sanft hin und her, um nur ja in jeden Winkel des imposanten Bauwerks hineinzuschauen. Im Inneren der Brille läuft vor ihren Augen ein 360-Grad-Film ab und simuliert detailgetreu das Innenleben der berühmten Kathedrale in Sachsen. Und Amanda Pasternak gerät langsam ins Schwärmen: „Wunderbar, einfach wunderbar – genau so sah sie aus, die Dresdner Frauenkirche.“

Achtsamkeit und Experimentierfreude

„Unsere sozialen Dienste und Einrichtungen stellen sich dem digitalen Wandel“, sagt Dr. Frank Johannes Hensel, Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln. Er zeigt sich begeistert von den Möglichkeiten, die das Abtauchen in virtuelle Realitäten bietet. „Mit der Brille ist man mittendrin. Das ist schon eine hochspannende Angelegenheit.“ Dennoch sei es eben ein virtueller Ausflug, da gelte es auch, besondere Vorsicht walten zu lassen. „Hier gehören Achtsamkeit und Experimentierfreude zur konstruktiven Entwicklung und Mitgestaltung dazu“, betont Hensel.

Gerade bei Menschen, die an Demenz erkrankt seien, müsse erst genau erforscht werden, welche Auswirkung eine Begegnung mit Orten der eigenen Vergangenheit haben könne. „Ob und wie einem an Demenz erkrankten Bewohner mit der VR-Brille ein digitaler Ausflug etwa in die verlorene ostpreußische Heimat guttut, das muss erst ergründet werden. Es geht uns um den verantwortungsvollen Einsatz neuer technischer Möglichkeiten“, so Hensel.

Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt darum von der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen. Eine Studentin der Hochschule hat am Testlauf im Luisenheim teilgenommen und soll in der Folge auswerten, wie der Einsatz der VR-Brillen und vor allem die Berührung mit neuen Welten oder Bildern aus der Vergangenheit auf die
Bewohnerinnen und Bewohner wirken. Ein wichtiges Element im alltäglichen Umgang mit der neuen Technik ist die Wahrnehmung der Mitarbeitenden im Altenheim. Darum soll auch das Pflegepersonal entsprechend geschult werden. Außerdem soll es zukünftig ein appbasiertes Tool geben, mit dem die Mitarbeitenden die Anwendung der Brillen beurteilen und reflektieren können.

Gute Ergänzung zum bestehenden Angebot

„Wir sehen den Einsatz der Brillen als gute Ergänzung zum Beschäftigungsangebot in unseren Einrichtungen. Aber es sind zukünftig noch ganz andere Dinge denkbar, beispielsweise im therapeutischen Bereich, wenn es um Gedächtnistraining oder die Förderung von Bewegung bei alten Menschen geht“, sagt Henry Kieschnik, Referent für stationäre Altenhilfe beim Diözesan-Caritasverband. So könnten etwa Schlaganfallpatientinnen oder -patienten bei Bewegungsübungen mithilfe einer VR-Brille gute therapeutische Fortschritte machen. Ähnlich wie etwa beim alpinen Skisport soll es dann möglich sein, mit der Brille spezielle Bewegungsabläufe zu trainieren.

Ziele müssen sorgfältig gewählt sein

Zusammen mit seiner Abteilung entwickelt Henry Kieschnik nun ein Gesamtkonzept für den Einsatz der VR-Brillen in der Altenhilfe im Bereich des Diözesan-Caritasverbandes. Dabei geht es unter anderem darum, wie die optimalen technischen Gegebenheiten aussehen. So hat sich gezeigt, dass etwa Kabel eher hinderlich sind, gerade wenn die älteren Menschen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Eine Funkverbindung zum Computer, in dem alle Ausflugsziele hinterlegt sind, ist besser geeignet. Außerdem muss die Technik einfach zu bedienen sein sowohl für die älteren Menschen als auch für die Mitarbeitenden der Alten- und Pflegeheime.

Aber es geht in der Testphase auch darum, herauszufinden, welche Ziele sich am besten für die virtuellen Ausflüge eignen. „Ein Rundgang durch den Kölner Dom zum Beispiel kam bei unseren letzten Tests sehr gut an“, berichtet Henry Kieschnik. Den Testlauf im Düsseldorfer Luisenheim sieht er als Erfolg. Beim Diözesan-Caritasverband will man nun ein Technikpaket zusammenstellen, das ausgeliehen werden kann. Verpackt in zwei Koffern, können künftig zwei Brillen mit verschiedenen Funktionen zu Testläufen auf Reisen gehen. Die Einrichtungen können so herausfinden, ob sich die Anschaffung dauerhaft lohnt.


Zeitreisen lösen viele Emotionen aus

Tobias Wegerhof, Leiter des Düsseldorfer Luisenheims, kann sich nach dem erfolgreichen Testlauf gut vorstellen, die VR-Brillen in das Betreuungsangebot seines Hauses zu integrieren. Neben allem Nutzen für die Therapiearbeit war er vor allem von der Aufgeschlossenheit der älteren Menschen für das Angebot begeistert. Berührungsängste mit der neuen Technik habe es kaum gegeben. „Es gab eine sehr große Offenheit und Neugierde für das Thema. Unsere Bewohnerinnen und Bewohner haben große Freude daran“, so Wegerhof. Allerdings ist auch ihm sehr wichtig, dass das Projekt sorgfältig begleitet wird. Bei mancher Seniorin und manchem Senior löse zum Beispiel eine Zeitreise an die Orte der Kindheit Wehmut und Trauer aus, darauf müsse man vorbereitet sein, um den Menschen mit seinen Emotionen nicht alleinzulassen.

Helmut Heinz hat der Einsatz der Brille auf jeden Fall jetzt schon überzeugt, und seine Einstellung zu dem technischen Gerät ist positiv. Der 76-Jährige ist mit dem dunklen Kasten auf der Nase unterwegs in einer faszinierenden Unterwasserwelt. Um ihn herum schwimmen Fische, überall sind Korallen. „Das ist wirklich sagenhaft“, schwärmt er.


Barbara Allebrodt

© Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.

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